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Mittwoch 16. April 2008

Cantons Süßstoff

Unser Standort: Vor Anker im Canton-Atoll, Phönix-Archipel, Kiribati

 

Alles was die Vor- und Zubereitung von Nahrungsmitteln angeht, ist in Kiribati Frauensache. Die Männer würden wahrscheinlich vor dem offenen Kochtopf verhungern. Einzig das Fischen wird von beiden Geschlechtern gemeinsam unternommen, wobei das Ausnehmen, Schuppen, Einsalzen und Trocknen wieder an der weiblichen Bevölkerung hängen bleibt. Fallen ein paar Regentropfen, dann rufen die Männer nur ihre Frauen, auf dass sie den Trockenfisch vom Gestell nehmen und vor der Feuchtigkeit in Sicherheit bringen. Doch eine große Ausnahme gibt es. Und so müssen die Männer dreimal am Tag aktiv werden und in die Kokospalmen steigen.

 

Seit Urzeiten nutzen die i-kiribati intensiv die Kokospalme. Sie ist das Brot- und Buttergewächs auf den kargen Atollen. Aus dem Bast der Nüssen werden Seile gedreht, die Schalen dienen als Brennholz, das Wasser der Nuß ist Trinkwasserersatz, das fettige Fleisch wird getrocknet oder frisch verzehrt und aus dem gepressten und gekochten Fleisch werden Fette, Öle und Salben hergestellt. Doch die Männer steigen aus einem anderen Grund in die Kokospalmen. Sie müssen Toddy schneiden.

 

Toddy ist der Pflanzensaft, der aus einem sorgsam präparierten Fruchtstand der Kokospalme gewonnen wird. Er ist sehr süß mit einer leicht sauren Note und dient heute und in der Vergangenheit als Ersatz für Zucker. In nahezu jedes Essen kommt ein wenig Toddy-Saft. Mit Toddy wird der Tee gesüßt und wenn man ihn über Nacht stehen läßt, so beginnt er leicht zu gären und kann am nächsten Tag als Triebmittel für Brot oder Kuchen verwendet werden. Ungute Gesellen warten noch ein wenig länger und erhalten so Sour Toddy, ein berauschendes Getränk. Toddy ist so nahrhaft, dass er bei Säuglingen als Muttermilchersatz verwendet wird. Eingekocht zu einem Kamaimai genannten Sirup wird Toddy haltbar gemacht und mit Kokosmilch zu Süßigkeiten verarbeitet.

 

Die Toddy-Gewinnung macht einiges an Arbeit. Bevor Toddy gewonnen werden kann, wird zunächst ein neu wachsender Fruchtstand der Kokospalme präpariert. Unter Beschwörung althergebrachter Zauberformeln wird der Fruchtstand fest in sein umhüllendes Blatt eingebunden und langsam und vorsichtig über mehrere Tage in eine horizontale Position gedrückt. Mit einen sehr scharfen und nur zum Toddyschneiden verwendeten Messer wird an der Spitze der zusammengebundene Fruchtstand angeschnitten. Das Wachsen des Fruchtstandes im zusammengebundenen Blatt wirkt wie eine natürlich Presse, die an der Spitze den Pflanzensaft geradezu herausquetscht. Dort hängt eine Flasche, in der der frische Toddy aufgefangen wird.

 

Dreimal am Tag müssen nun die Toddytriebe nachgeschnitten werden, dass die Pflanze die ihr zugefügte Wunde nicht verschließt. Wie viel man abschneidet, in welche Richtung man das Messer führt, welche Beschwörungsformeln man dazu mumelt oder welche Gesänge man dazu anstimmt, ist ein Familiengeheimnis, das vom Vater zum Sohn weitergegeben wird. Gute Toddyschneider können aus einem Fruchtstand an einem Tag nahezu einen Liter des begehrten süßen Pflanzensaftes gewinnen und jede Familie hütet eifersüchtig das Geheimnis des Toddyschneidens.

 

Bild des Tages:

Man könnte meinen, es sei Weihnachten. Wie Christbaumkugeln hängen in vielen Palmen die Flaschen zum Toddy-Saft sammeln