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LOGBUCH

Dienstag 12. Mai 2015

Geschichten aus dem Mutterland der Bürokratie

Unser Standort: An einer Mooring in der Bucht von Tahuna, Pulau Sangihe, Indonesien

 

Wie heißt es so schön im Hitchhiker's Guide to the Galaxy: "Don't panic!". Noch sind wir ja unterwegs und noch gibt es zuviele Geschichten, die erzählenswert sind. Noch geht das Logbuch also weiter. Und wer weiß schon, was uns sonst noch einfällt.

 

Für heute ist es in jedem Fall das Bunkern von Diesel "Indonesian Style", welches sich locker zu einer abendfüllenden und unterhaltsamen Erzählung eignen würde. Schriftlich müssen wir das Ganze ein wenig kürzer halten, wer möchte in einem Logbuch schon täglich Tolstoi lesen.

 

Wie inzwischen ja landläufig bekannt sein dürfte, ist das Bunkern von Diesel für ausländische Segelyachten in Indonesien ein Problem, da an den staatlichen Pertamina Tankstellen Treibstoff in Kanistern nur an Bedürftige mit Berechtigungsschein oder registrierte Wiederverkäufer abgegeben wird. Bedürftig nach Diesel sind wir zwar, fallen nach indonesischer Auffassung aber nicht unter "Bedürftige". Und wiederverkaufen wollen wir das Zeugs ja auch nicht, sondern selbst in Wasserdampf, Stickoxide und Ruß sowie Vortrieb zerlegen.

 

In einigen Orten Indonesiens kann man Diesel ganz einfach bei Wiederverkäufern kaufen - legal und ohne Probleme, wenn auch mit einem kleinen Aufschlag. So haben wir das zum Beispiel in Tobelo gemacht. Hier in Sangihe gibt es aber keine Wiederverkäufer, so dass uns als einzige Quelle die Tankstelle bleibt. Leider ist auch unser Freund Marsello, der im Januar den Leiter der Tankstelle einfach hergequatscht hat, bis er uns ohne jedes Paperwork den benötigten Energiesaft gab, nicht vor Ort, sondern in Jakarta. Also müssen wir einen anderen Weg beschreiten, unseren fast leeren Tank aufzufüllen.

 

Wir probieren es also bei unseren anderen Kontakten, den Jungs vom Touristenbüro, die uns im Januar auch angeboten hatten, beim Dieselkauf zu helfen. So weit so gut, denn jetzt geht die Geschichte richtig los.

 

Jeffry, unser Kontaktmann und seines Zeichens Leiter des Fremdenverkehrsamtes, antwortet auf unsere Anfrage-SMS vom Wochenende zum Thema Dieselkauf "I think it is OK you buy". Und dann im Nachsatz noch, dass er bis Mittwoch nicht auf der Insel ist. Ohoh, gar nicht gut, schließlich wollen wir am Mittwoch ausklarieren und am Donnerstag, der auch in Indonesien Feiertag ist, in See stechen. Wir fragen nach, ob denn sein Mitarbeiter Deavid uns in seiner Abwesenheit helfen könnte. "I think maybe Deavid can help you", lautet die Antwort. Nicht sehr überzeugend, aber was bleibt uns anderes übrig. Wir schicken Deavid eine SMS - und hören nichts zurück. Erst nachdem wir unser Telefon gestern Nachmittag mit neuem Guthaben aufgeladen hatten und ihn anrufen können, erfahren wir warum: "Sorry, I had no more pulsa (Guthaben)". Hätten wir auch von alleine drauf kommen können. Nun haben wir ihn aber an der Strippe und er meint, wir sollen heute früh um 09:00 Uhr zu ihm ins Büro kommen. Dann müssen wir ein paar Antragspapiere ausfüllen, die müssen dann zum Regierungspräsidium zur Genehmigung, mit der bekommen wir dann ein Berechtigungsschreiben und schon können wir den Diesel kaufen. Klingt irgendwie kompliziert und langwierig, ist es wahrscheinlich auch. Hoffentlich schaffen wir das in 48 Stunden.

 

Mit gedämpfter Hoffnung schlagen wir so um kurz nach neun im Büro des Fremdenverkehrsamtes auf. Wir haben uns schick gemacht und extra noch rasiert, man weiß ja nie, wo man noch vorstellig werden muss. Nach einem kurzen Plausch mit Deavid wird dann die Erstellung des Antragsschreibens an eine der 24(!!!) Mitarbeiter des Tourismusbüros delegiert. VIERUNDZWANZIG festangestellte Vollzeitmitarbeiter haben die hier!!! Das entspricht in etwa der Anzahl an einheimischen und ausländischen Touristen, die sich im Jahr nach Sangihe verirren!!

 

Aber die Dame ist in jedem Fall motiviert und engagiert und schon 15 Minuten später liegen zwei ausgedruckte Seiten auf dem Tisch vor uns und sind bereit für die Unterschrift. Ja die Unterschrift. Wäre ja auch zu einfach gewesen. Denn derjenige, der solche Antragsformulare unterschreiben kann, ist Jeffry. Und der ist heute und morgen nicht da.

 

"Was nun?", fragt Deavid uns. Hmmm, lass mich nachdenken. Wenn du es nicht weißt?! Bei uns gäbe es für solche Fälle einen Stellvertreter, der im Auftrag unterzeichnen dürfte. Aber nein nein, das geht in Indonesien, dem Mutterland der ausgeuferten Bürokratie nicht. Dieses Papier muss vom Boss unterschrieben werden. Und zwar nur von ihm!

 

Nun schaut uns Deavid ein wenig schuldbewußt an. Früher, meint er, hätte er die Unterschrift von Jeffry nachmachen können, aber seit kurzem hätte Jeffry seine Unterschrift geändert, viel komplizierter gemacht, und die könne er nicht kopieren. Aber wenn ich noch Geld auf dem Handy hätte, dann könnten wir Jeffry anrufen und ihn bitten, uns zu sagen, wer jetzt seine Unterschrift nachmachen kann. Ach ja genau. Im Auftrag geht nicht, aber Unterschriften fälschen schon.

 

Jeffry nimmt das Ganze aber total cool und benennt uns tatsächlich jemanden, der seine Unterschrift nachmachen kann und wird. Außerdem gibt er die Erlaubnis, dass wir sein Dienstauto benutzen dürfen, wenn wir es für 50.000 Rupien auftanken. Zufällig ist das genau der Preis, den auch die Miete eines Maxitaxis gekostet hätte. Uns soll es recht sein. Jetzt muss nur noch jemand aufgetrieben werden, der Jeffrys Wagen fahren darf und kann. Um 10:30 Uhr ist auch das erledigt und wir sitzen im Toyota und fahren zum beauftragten Unterschriftenfälscher. Der regt sich erst einmal mächtig auf, weil ein Fehler im Antragsschreiben sei und er nicht so einfach aus dem Effeff Jeffrys Unterschrift nachmachen könne. Also zurück ins Touristenbüro, neues Schreiben ausdrucken und die Unterschrift nach einer Vorlage draufkritzeln.

 

Keine 10 Minuten später ist auch diese Hürde aus dem Weg geräumt und wir fahren weiter zum Regierungspräsidium, eine kleine Stadtrundfahrt bekommen wir so auch noch nebenbei. Dort lassen wir Deavid aussteigen, er wird sich weiter um die Papiere kümmern, wir sollen schon mal zur Tankstelle, uns zum Tanken anstellen. Zum Tanken des Autos für 50.000 Rupien wohlgemerkt. An den Tankstellen in Indonesien herrscht nämlich oftmals ein solcher Andrang, dass sich kilometerlange Schlangen wie in den besten Zeiten des real existierenden Sozialismus bilden. Na wunderbar.

 

Wir stellen uns hinten an, vor uns sind niedrig geschätzt 50 Mopeds und 20 Minibusse. So ein Mist. Nein, nein, das ist heute gar nicht schlimm, das ist eine kurze Schlange, klärt uns Christie auf. Sie ist uns als Begleitung zugeteilt worden, weil sie fliessend Englisch spricht, eine echte Seltenheit hier. Hier trennen sich unsere Wege nun für die nächste Stunde. Während Michaela mit Christie und dem Fahrer brav in der Schlange wartet, nimmt sich Volker ein Maxitaxi zurück zum Dinghi, um von Bord die Kanister zu holen. Er hat gerade alles zusammengepackt als die Whatsapp kommt, dass Michaela mit dem Toyota an der Dinghilandestelle steht. Na das ging ja noch erfreulich flott. Schnell die Kanister ins Auto geschmissen und zurück zur Tankstelle.

 

Die Mädels im ferrariroten Pertamina-Overall, die uns schon im Januar bedient hatten, sind vor Wiedersehensfreude ganz aus dem Häuschen. Sie blicken auf das Papier mit der Anweisung der Ausweisung der tatsächlichen Existenz einer bedürftigen Berechtigkeit unsererseits unter Eidesstatt, und machen das international verständliche "Thumbs Up" Zeichen. Nun hat sich Volker aber bei den Mengenangaben ein wenig verrechnet und hat mehr Kanister dabei, als uns laut Berechtigungsausweis zusteht. Er bittet Christie die Mädels zu fragen, ob wir auch vierzig Liter mehr haben können. Christie bekommt Schnappatmung, dass wir nach dem ganzen Hin und Her nun auch noch nachtarocken. Aber die Hübsche an der Zapfsäule lacht nur und streckt den Daumen in die Höhe.

 

Dann geht alles ganz flott und unsere Kanister werden ordentlich mit Diesel feinster Qualität befüllt. Wir blättern die Scheine hin, was bei 50 Cent der Liter nur einen erfreulich kleinen Stapel ergibt, tauschen noch Facebook Informationen mit unserer Pitstop Crew aus und sind schwuppsdiwupps wieder am Dinghi. Es ist 13:00 Uhr, wir sind verschwitzt und hungrig - aber auch sehr zufrieden. Dass wir diesen Bürokratie-Parforce-Ritt in nur einem halben Arbeitstag erledigen können würden, hätten wir nie gedacht. Gut gelaunt fahren wir die Kanister in zwei Fuhren raus zu LA GITANA, die fröhlich an ihrer Mooring baumelt, stellen sie einfach an Deck und gehen Mittag essen. Das haben wir uns jetzt verdient. In den Tank kippen können wir den Diesel auch noch, wenn die Sonne hinterm Berg verschwunden und es ist nicht mehr ganz so heiß ist.

 

Und wer es geschafft hat, ohne abzusetzen bis hierher zu lesen, dem lege ich wirklich inständig die Werke von Tolstoi, Joyce und Dostojewski ans Herz. Für Dich, lieber Leser, sind das Kurzgeschichten…

 

Bild des Tages:

So schön kann Diesel bunkern sein: Unsere persönliche Pit Stop Crew versprüht gute Laune.