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Samstag 16. Mai 2015

Geschichten aus den Doldrums

Unser Standort: Vor Anker an einem steilen Abhang voller Korallenschutt bei der Pulau Lipang, Indonesien

 

Drei Uhr morgens war Starttermin, um es gegebenfalls bei Tageslicht bis zur Pulau Kawio zu schaffen, sollten wir bei unserem angestrebten Tagesziel Pulau Lipang keine Ankermöglichkeit finden. Drei Uhr morgens kommt - und geht. Einfach keine Lust zu so einer Zeit loszusegeln bzw. zu motoren. Wir drehen uns spontan um und schlafen wieder ein. Wenn wir keine Ankermöglichkeit in Pulau Lipang finden, dann fahren wir eben die nächste Nacht durch. Punkt.

 

Schlussendlich die Leine von der Mooring geworfen haben wir dann um 10:30 Uhr. Das reicht dicke um am frühen Nachmittag in Lipang anzukommen, sind ja nur 25 Semmeilen. Die Fahrt dorthin führt uns die Westküste von Sangihe entlang nach Norden durch unzählig viele FADs hindurch. Die Bojen mit den kleinen Fähnchen obendrauf liegen so eng beieinander, dass kaum Zeit bleibt, sentimental und traurig zu werden. Dennoch ist so eine letzte Reise nach einer Dekade auf See nicht ganz einfach fürs Gemüt. Aber das könnt Ihr Euch sicher denken.

 

Wieder ein wenig mehr Segelgeschichten haben sich einige von Euch gewünscht. Und damit würden wir auch wirklich gerne dienen. Aber es geht mal wieder kein Wind und wir üben kräftig für unsere neue Karriere als Hausbootfahrer in den Kanälen Europas. Fisch beißt auch keiner an und so haben wir Zeit zu diskutieren, wie und was und wo uns wohl alles in Deutschland erwarten wird. War es schon nicht so ganz einfach sein "bürgerliches" Leben zurückzulassen, wird es bestimmt nicht einfacher, sich wieder in ein solches einzugliedern. Aber wer 10 Jahre mit seinem Ehepartner auf weniger als 20qm Raum eingesperrt war und überlebt hat, schafft auch das.

 

Doch die Zeit der trüben Gedanken ist schnell vorbei, denn vor uns steht die Herausforderung, einen Ankerplatz an einer unkartographierten und auf Google Earth praktisch nicht erkennbaren Insel zu finden. Als wir bei Pulau Lipang ankommen fällt uns als erstes das mächtige Pier auf, das mehrere hundert Meter ins Meer hinausragt. Ganz offensichtlich ist das Eiland mit dem schönen, weithin gelb leuchtenden Sandstrand bewohnt und wir wohl auch regelmäßig von Frachtern angelaufen. Wirklich erstaunlich, dass die Indonesier es geschafft haben, auf jede noch so kleine Insel eine so aufwändige Anlegestelle für Frachter hinzubauen. Das hat sicher jede Menge Ressourcen verschlungen.

 

Dass das Pier so weit ins Meer hinausragt, hat natürlich einen Grund: Der Flachwasserbereich, der bei Ebbe beinahe trocken fällt, geht so weit hinaus. Und dann stürzt die Wassertiefe wieder einmal fast senkrecht auf siebzig und mehr Meter. Wir fahren an mehreren Stellen immer wieder vorsichtig an die Flachwassergrenze heran bis wir eine Stelle finden, wo das Gefälle nicht ganz so extrem zu sein scheint. Wir drehen noch zweimal einen Kreis um diese Stelle und inspizieren den Grund, der selbst in 25 Meter Tiefe noch glasklar zu erkennen ist. Beim dritten Kreis fällt der Anker in Korallenbruch. Aufs Einfahren verzichten wir, ziehen die Kette nur ein wenig Richtung tieferes Wasser. Sollte entgegen aller Vorhersagen heute Nacht Wind kommen, der uns Richtung Flachwasser drückt, müssen wir hier ohnehin weg. Und Wind aus der anderen Richtung triebe uns höchstens auf die offene See - keine Gefahr also.

 

Innerhalb kürzester Zeit sind wir umringt von Fischern auf Auslegerkanus, die hier in Pulau Lipang zu Hause sind und allem Anschein nach noch nie eine Segelyacht aus der Nähe gesehen haben. Unterhaltung ist schwierig bzw. gänzlich unmöglich, da die Leute noch nicht einmal unsere paar Brocken Bahasa Indonesia verstehen. Offensichtlich wird auf Lipang nur der lokale Dialekt gesprochen.

 

Dann schauen wir doch lieber einmal, was unsere Freunde die Fische so machen. Doch was die Anzahl an Fischerkanus auf dem Strand schon vermuten liess, wird unter Wasser traurige Realität. Auf den einigermassen intakten und hübschen Korallen findet sich praktisch kein Fisch mehr. Wirklich gespenstisch, wie dieses Riff hier leer geräumt wurde. Jetzt sitzen die Fischer weit vom Riff entfernt über tiefem Wasser von bestimmt hundert Metern und mehr und angeln dort mit Grundleinen. Aber auch das ist nicht mehr ergiebig wie wir sehen: der Fang besteht bei vielen aus nur zwei oder drei Sardinen von 15 oder 20 Zentimeter Länge. Und dafür hocken die Fischer drei oder vier Stunden ohne Hut oder Schatten auf ihren Kanus in der prallen Sonne. Kein Wunder, dass sich viele freuen, als wir unsere Hut- und Stoffvorräte plündern, um ihnen ein wenig Schatten zu ermöglichen…

 

Bild des Tages:

Friedvolles Ankern vor Pulau Lipang mitten in den Doldrums