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Samstag 23. Mai 2015

Wunschtraum

Unser Standort: Vor Anker beim Pearl Farm Resort, Samal Island, Mindanao, Philippinen

 

Wünschen darf man sich ja jederzeit etwas. Und darauf hoffen, dass es in Erfüllung geht auch. So wie unser inniger Wunsch noch ein Mal, ein letztes Mal, eine lauschige Segelnacht unterm tropischen Sternenhimmel zu verbringen. Doch zu mehr als Wünschen kam es leider nicht. Wer weiß, vielleicht ist das ja auch ein toller Ansporn, irgendwann nochmal eine tropische Segelnacht anzugehen.

 

Auf so was wie letzte Nacht können wir dagegen getrost verzichten. Und eigentlich hatten wir ja auch eine grobe Vorahnung, was auf uns zukommen könnte. Schließlich sind wir schon selbst den Davao Golf bei Tag rauf und wieder runter gesegelt. Unsere eigenen Erfahrungen mit den zahllosen Bangkas der Fischer, den überall ohne Kennzeichnung oder Lichter rumschwimmenden FADs, den ausgelegten Stellnetzen, waren uns zudem durch Horrorberichte anderer Segler bestätigt worden, die den Golf bei Nacht durchquerten. Es war also nicht so, dass wir nicht gewarnt gewesen wären. Deshalb hatten wir ja immer versucht, den Golf bei Tag hinter uns zu bringen. Doch da es an der Westküste keinerlei geschützte Ankerplätze gibt und es bis zur Ostküste beinahe so weit wie bis zu unserem heutigen, geschützten Ankerplatz ist, haben wir uns dazu durchgerungen, den Golf bei Nacht zu durchqueren. Was für eine Schnapsidee.

 

Denn kaum verschwand die Sonne hinter den Hügeln von Mindanao, ging der Alptraum los. Anstatt eines schönen Segelwindes hatten wir schon seit der Abfahrt um 15 Uhr den Wind aus Nord und damit genau auf die Nase. Wenigstens der Strom war mit uns und gab uns eine Unterstützung von einem Knoten. Jetzt in der Dämmerung nahm dann auch der Verkehr schlagartig zu. Zunächst machten uns zwei Frachter die Aufwartung. Einer kam von achtern und einer von vorn. Dummerweise motorten wir genau auf der "Anflugschneise" für den Hafen von Davao, so dass uns jeder Frachter, der von oder nach Davao fuhr, genau auf unserer Kurslinie daherkam.

 

Praktischerweise haben hier die meisten Frachter inzwischen AIS und wir konnten sie über UKW anpreien. Der erste bestätigt auch sogleich unseren Anruf, schaut aus dem Fenster und bestätigt dann, dass er uns gesehen hat und ausweichen wird. Der zweite ist ein anderes Kaliber. Erstens antwortet er nicht, zweitens fährt er laut AIS und dem Blick durchs Fernglas totale Schlangenlinien. Mal sehen wir rot-grün gleichzeitig und zwei Toplichter in Linie. Dann mal die rote Seite, dann wieder die grüne. Sehr vertrauenserweckend, wenn so einer mit 15 Knoten auf Dich zukommt. Selbst als wir uns bis auf weniger als eine Seemeile unter Land vorwagen, kommt dieser dicke Pott immer wieder auf uns zu. Besoffen oder was?!?

 

Irgendwann scheint unser Dauergefunke dann doch zu wirken und das Schlangenschiff dreht ab Richtung See. Dafür sind wir nun alleine im Lichtermeer der fischenden Bangkas. Man kann sich das kaum vorstellen und wahrscheinlich auch nur schwer beschreiben. Es ist inzwischen eine mondlose Nacht geworden und 360° um uns herum blinken oder blitzen immer wieder einzelne Lichter oder Taschenlampen auf. Die Bangkas fischen im Dunkeln, nur manchmal schalten sie als Positionslicht ein Stroboskoplicht an, das normalerweise an den Stellnetzen der industriellen Fischer als Markierung hängt. Im Umkreis von ein oder zwei Seemeilen müssen es bestimmt dreißig oder vierzig Bangkas sein, die sich zu jeder Zeit um uns herumtreiben. Wir sehen sie so gut wie nicht, nur hin und wieder den Lichtblitz oder das Stroboskop. Auch im Radar tauchen sie erst auf, wenn wir sie in einer viertel Seemeile Abstand haben.

 

Da hilft nur Gottvertrauen. Bei uns und bei den Bangkas. Denn sie fischen hier ja auf der Durchgangsstrecke der Ozeanfrachter. Von daher reden wir uns ein, dass es ja gar nicht darauf ankommt, dass wir sie sehen können. Hauptsache ist, dass sie uns sehen können. Denn auf diese Art und Weise gehen sie sicher auch mit den Frachtern um. Kommt ein großer Pott daher, weichen sie mit ihren wendigen Bangkas halt einfach aus. Also müssen auch wir alles dransetzen, dass wir von ihnen als möglichst großer Pott gesehen werden. Etwas übervorschriftsmäßig leuchten bei uns daher alle Lichter, die wir so haben: Im Masttopp die Dreifarbenlaterne, am Mast vorne das Dampferlicht. Links, rechts und hinten rot, grün und weiss; dazu noch eine mobile, sehr helle LED-Ankerlaterne. Wir sehen wahrscheinlich aus wie ein Christbaum unterwegs, aber das ist uns jetzt egal. Und SeeSchStrO hin oder her, hier geht es um Fressen und Gefressen werden, um Sehen und Gesehen werden.

 

So geht das die zwölf Stunden unserer wahrscheinlich längsten Nacht lang. Nervig. Vor allem wenn die Bangkas dann urplötzlich aus der Schwärze der Nacht 20 Meter neben LA GITANA auftauchen und uns mit ihren Taschenlampen anleuchten. Und weil das alles noch nicht genug ist, bekommen wir auch noch ein Gewitter nach dem anderen ab, in denen der Wind jeweils in 20 bis 30 Minuten 360 Grad dreht. An Segeln ist überhaupt nicht zu denken und die Welle aus den Winddrehern gepaart mit dem starken Strom tut ein Übriges.

 

Die Krönung folgt jedoch im Morgengrauen, als wir von drei Frachtern in die Zange genommen werden. Wir sind an einem neuralgischen Punkt, der Südspitze der Insel Talikud. Hier kommt jeder, aber auch wirklich jeder Frachter vorbei, der Davao auf der Liste hat. Zwei der Dampfer kommen von hinten auf und spielen Wettrennen, wer zuerst ums Kap biegen darf. Gleichzeitig kommt frontal ein dritter Pott von Norden. Zum Glück gibt es AIS und wir wissen, dass der eine an Backbord und die beiden anderen an Steuerbord passieren werden. Interessant ist es allerdings zu sehen und mitanzuhören, wie die Jungs ausbaldowern, wer nun zuerst ums Eck darf. Boxenfunk in der Formel 1 ist langweilig dagegen.

 

Unausgeschlafen und ziemlich gerädert und genervt erreichen wir schließlich um neun Uhr am Morgen unseren altbekannten Ankerplatz beim Pearl Farm Resort. Der Anker fällt auf dreißig Meter und wir nach einem schönen Frühstück mit Omelette in die Kojen. Träumen. Wunschträumen…

 

Bild des Tages:

Götterdämmerung im Golf von Davao: Kurz vor Sonnenaufgang erleben wir eine gespentisch-schöne Stimmung während uns die Frachter um die Ohren fahren.