Wir sind natürlich nicht verantwortungslos und überlassen LA GITANA in der Nacht sich selbst. Wie es sich für brave Segler gehört, gehen wir die Nacht über ein Wachsystem. Tagsüber ist dann sowieso immer einer wach, auch wenn sich der andere mal zum Schlaf nachholen hinlegt.
Die Wache hat die Aufgabe, den Kurs, das Wetter, die Segelstellung und andere Schiffe zu beobachten. Wir sind mit einem 12-Stunden Wachsystem gestartet, das von 18:00 Uhr bis 06:00 Uhr Bordzeit ging. Alle drei Stunden ist ein anderer mit Wache gehen dran und die Freiwache darf (bzw. muß) sich in die Koje legen, um zu schlafen. Die vier mal drei Stunden Wache erlauben jedem von uns (zumindest theoretisch) 6 Stunden Schlaf pro Nacht). Praktisch ist es aber deutlich weniger. Zum einen haben wir uns an das Geschaukel noch nicht so richtig gewöhnt, so dass wir relativ schlecht schlafen. Zum anderen wird die Freiwache geweckt, sobald es an Deck etwas zu tun gibt wie z.B. Segelmanöver, Angel einholen, ausgerauschte Schot einholen etc.
Heute Nacht haben wir die Wachzeit auf 19:00 Uhr bis 07:00 Uhr Bordzeit geändert, da wir um 18:00 Uhr schlecht einschlafen und um 06:00 Uhr immer noch müde sind. Mal schauen, ob das jetzt dann besser geht.
Etwas Schlaf finden wir übrigens auch während der Wache. Dank eines idiotensicheren Systems mit Hilfe eines Küchenweckers, den wir auf 15 Minuten einstellen, kann sich der Wachgänger auch hinlegen, dösen und nach 15 Minuten wieder eine Inspektion an Deck mit Rundumblick machen. Das reicht, um in der Nacht einen uns direkt entgegen kommenden Tanker noch rechtzeitig vor einem möglichen Zusammenstoß zu sehen. Leider hat das System den Fool-Prove-Test heute in der Früh nicht bestanden, als Volker den Wecker überhörte und gemütlich eine Stunde schläft. Aber wie heißt es immer so schön - menschliches Versagen, legt auch das beste System lahm.
Eigentlich möchte ich diesen Absatz schon wieder mit eigentlich beginnen. Denn eigentlich wollten wir Euch heute erzählen, wie wir so den Tag an Bord mit angenehmen Dingen zubringen. Wenn da aber eben dieses Wörtchen "eigentlich" nicht wäre. Wie gesagt, ein großer Teil unseres heutigen Tages bestand darin, faul und bequem in der endlich wärmenden Sonne zu liegen und zu lesen. So richtig entspannend war es dann aber doch nicht. Denn eigentlich drehten sich unsere Gedanken den ganzen Tag um unsere Schraube und was wir damit tun. Eigentlich wird also an Bord immer gearbeitet. Und eigentlich hab ich jetzt auch keine Lust mehr, mehr zu schreiben. Und deswegen lass ich es jetzt einfach auch. Bis morgen.
Stellt Euch vor, ihr steht auf einer lackierten schiefen Ebene, die im Durchschnitt eine Neigung von 15 bis 20 Grad (Grad, nicht Prozent Gefälle!!) hat und mit einem dünnen Film aus Salzwasser bedeckt ist. Auf diese schiefe Ebene hat jemand eine kleine Küchenzeile montiert. Nun fängt die schiefe Ebene langsam an sich zu bewegen. Sie neigt sich gleichmäßig auf 25 Grad. Dann plötzlich ein Schwung und sie steht auf 35 Grad, um im nächsten Moment auf 10 Grad Neigung in die andere Richtung zu kippen. Dann wieder einigermäßigen gleichmäßig auf 20° in die andere Richtung. Dazu kommt dann noch eine Bewegung um die Querachse, die derjenigen auf einem bockenden Rodeobullen entspricht. Und jetzt fangt ihr an zu jonglieren. Mit Zwiebeln, Kartoffeln, Lauch, Blumenkohl, Wiener Würstchen. Dabei haltet ihr in der einen Hand ein scharfes Messer, mit dem ihr das Gemüse schälen und klein würfeln wollt. Hinter euch bringt jemand auf der schiefen Ebene einen Topf mit 5l Wasser zum Kochen. Eine Hand nehmt Ihr, um das Gemüse festzuhalten, das ihr schälen wollt. Die andere hält derweil das Gemüse fest, das von der Arbeitsplatte auf den Boden zu fallen droht (Warum ist eigentlich fast alles Gemüse rund?? Quader wären wesentlich praktischer!!). Die dritte Hand hält das Messer und mit der vierten Hand haltet Ihr Euch irgendwo fest, um nicht durch die Küchenzeile geschleudert zu werden. Die fünfte Hand schnellt immer wieder zum Kochtopf, da ihr das Gefühl habt, der Topf mit kochendem Wasser kommt euch gleich entgegengeflogen.
Für einen Segler ist das sicherlich nichts besonderes. Für uns schon! Mit der Nummer könnten wir glatt im Chinesischen Staatszirkus auftreten. Und mit der Gemüsesuppe, die das Ergebnis unserer Bemühungen war, könnten wir uns vielleicht gleich in einer Kochschule für Fortgeschrittene bewerben. Lecker!
Da wir nicht wissen, in welcher Wasserqualität wir morgen ankern werden, stand heute Wasser machen auf dem Programm. Trotz unseres Wassertanks von 1.000l Fassungsvermögen haben wir uns dazu entschieden, einen Wassermacher einzubauen. Damit wollen wir zum einen maximale Autonomie erreichen. Zum anderen ist die Qualität des Wassermacherwassers sensationell. Es ist absolut frei von Mikroben, Verunreinigungen, störenden Geschmäckern etc., was man von dem Wasser, das man außerhalb von Mitteleuropa bunkern kann, nicht immer behaupten kann. Das ganze funktioniert nach dem Prinzip der Umkehrosmose. Im Prinzip wird dabei Meerwasser unter einem Druck von 65 bar durch eine feine Membran gedrückt, die alle Salzionen und Verunreinigungen ausfiltert. Da die Membran hierzu sehr fein sein muß, ist sie sehr anfällig gegen verschmutztes, insbesonderes öliges Wasser. Aus diesem Grund wollten wir nicht bis morgen in der Ankerbucht warten.
Unser Wassermacher produziert ca. 35l Süßwasser pro Stunde und so waren die verbrauchten 20l Trinkwasser, das wir immer in ausrangierte Mineralwasserflaschen füllen, schnell vollgefüllt und wir haben nun wieder einen Trinkwasservorrat an Bord, der locker für 2 Wochen reicht. Denn das Wasser aus dem Wassertank nutzen wir in der Regel nur als Brauchwasser zum Waschen, Spülen, Zähneputzen, Kochen. Seit Anfang August haben wir auf diese Weise keine einzige Mineralwasserflasche mehr gekauft und trinken nur noch unser Wassermacherwasser. Prost!
Seit Volker auf dem Meer segelt hat er einen ausgeprägten Jagdinstinkt entwickelt. Frischfisch ist das Ziel der Begierde. Insbesondere einen Thunfisch wünscht sich Volker sehnlichst, um endlich das ultimativ frische Sushi zubereiten zu können. Dass Michaela nicht so gerne Fisch mag und die Sauerei beim Anlanden und Töten der Beute im Cockpit noch viel weniger, stört das Jagdfieber von Volker dabei nur am Rande.
Kaum dass wir auf See und die Segel gesetzt sind, gehen dann auch sofort zwei Schleppangeln außerbords. Nur ja keine Minute verschenken! An der einen hängt ein Kunststoff-Fisch als Köder, an der anderen eine selbst gemachte Tintenfisch-Imitation aus alten Haushaltshandschuhen. Und dann heißt es warten, bis eine hungrige Goldmakrele oder ein Thunfisch Appetit auf ein Häppchen zwischendurch haben.
Heute war es dann endlich mal wieder so weit. Kurz vor Sonnenuntergang läuft die Leine aus unserer Rolle. Und das, obwohl die Bremse sehr fest eingestellt ist. Das muß ein großer Bursche sein!! Volker schnappt sich die Angel und kurbelt das Schuppentier langsam näher. Der Fisch hat aber keine große Lust, an der Angelleine Gassi geführt zu werden und wehrt sich mit allen Kräften. So wie das zieht, muß das ein Kämpfer sein! Keine der Goldmakrelen, die sofort aufgeben, wenn sie erst einmal am Haken hängen. Das sieht verdammt nach dem lang ersehnten Thunfisch aus!! Bis auf 15m hat Volker den Burschen rangekurbelt und der wehrt sich immer noch. Wir sehen ihn jetzt aus dem Wasser springen. Ja, das müßte ein Bonito sein. Vielleicht 40-50cm lang.
Es ist gerade 02:30 Uhr Bordzeit und ich sitze vor dem Laptop, nachdem ich in Ruhe den Tag habe Revue passieren lassen. Auf See hat es sich eingependelt, dass ich immer in der Hundewache von 01:00 bis 04:00 Uhr Logbuch schreibe. Die erste Wache bin ich noch wach genug, um zu lesen. Bei der Hundewache muß ich mich dagegen mehr konzentrieren, wach zu bleiben. Da hilft das Logbuch sehr.
Ich sitze am Kartentisch in fast völliger Dunkelheit, nur die kleine Navi-Tisch-Beleuchtung brennt, quer zur Fahrtrichtung und versuche mit Pendelbewegungen des Oberkörpers, Ausgleichsschritten sowie Einhaken mit den Ellbogen zu verhindern, quer durchs Schiff geschleudert zu werden, während ich schreibe. Nach der Fertigstellung des Textes geht es an die Auswahl des Bildes des Tages. Das wird dann in einem Foto-Editor nochmls hinsichtlich Belichtung und Farbkorrektur nachbearbeitet, gegebenenfalls aus mehreren zusammengesetzt, auf die richtige Pixelgröße reduziert und dann kräftig komprimiert. Denn das ganze wird anschließend per Kurzwelle mit einem speziellen Modem gesendet. Und die Verbindungsgeschwindigkeit ist hier nicht so riesig, so dass die Fotodatei entsprechend klein sein muß. Dennoch dauert es teilweise eine halbe Stunde, bis die Datei durch den Äther gequetscht worden ist. In Zeiten von DSL kann sich das kaum einer mehr richtig vorstellen.
Neben mir tickt der Küchenwecker, der mich alle 15 Minuten zu einem Rundumblick nach draussen schickt. Und je nach Textlänge und Bildmaterial bin ich dann nach ca. 2 Stunden mit allem fertig. Eigentlich eine ganz schöne Arbeit, aber es macht ja auch Spaß und nach nunmehr fast 9 Monaten täglichen Logbuchs, ist das ganze schon routinemäßig in den Tagesablauf integriert.
Funk ist das Telefon der Segler auf der Passatroute. Und selbst Leute, die in ihrem richtigen Leben überhaupt nicht gerne telefoniert haben, sitzen immer schon 1 Minute vor der vereinbarten Zeit am Funkgerät und fiebern den Neuigkeiten entgegen. Wir haben derzeit drei Funkrunden: Zweimal am Tag mit der Morgi, die ja mit uns aus Gran Canaria ausgelaufen ist. Einmal mit Jörg, Alfred, Michael & Co. Und unsere Wetterrunde. Und obwohl die Themen immer die gleichen sind, ist es trotzdem immer spannend: Auf welcher Position seid ihr gerade? Wieviel Fahrt macht ihr? Welches Etmal (apropos: Wir hatten heute ein fantastisches Etmal von 160sm!)? Wie ist das Wetter, die Welle? Aha - paßt auf, wir holen Euch bald ein! Fisch gefangen? Wer ist wieder seekrank? Etc. etc.
So wird alles ausgetauscht, was so an Klatsch auf den in der Regel mit einem Pärchen besetzten Booten anfällt. Fast so nett, wie ein kurzes Schwätzchen mit dem Nachbarn im Flur. Das ganze hat aber auch noch den beruhigenden Nebenaspekt, dass man sich nicht so mutterseelenalleine mitten auf dem Atlantik fühlt. Es gibt noch andere Idioten, die sich das auch antun, die teilweise gar nicht so weit weg sind. Und dass es allen keinen Deut besser geht als uns, macht für uns die Situation deutlich erträglicher.
Ich bin mir nicht sicher, ob Eltern wissen, was sie ihren Babys antun, wenn sie sie in eine Wiege legen und schaukeln, um sie zu beruhigen. Wahrscheinlich werden die meisten Babys deswegen ganz still, weil ihnen sterbensübel wird. Wir kommen uns nächtens jedenfalls immer vor, als würden wir in einer überdimensionalen Wiege liegen und unsanft hin- und hergeschaukelt werden. Und das fühlt sich in etwa so an, wie in einer Waschmaschine im Schleudergang.
Eigentlich ist es ja ganz einfach, auf einem segelnden Schiff zu schlafen. Denn mit einer 2-Mann-Crew bist du nach drei durchsegelnden Nächten mit Nachtwache so müde, dass du im Prinzip umfallen und sofort schlafen könntest. Aber auch hier wieder dieses Wörtchen eigentlich. Denn zum einen haben wir eine ordentliche Geräuschkulisse in der Achterkajüte: Die Windsteueranlage gibt dumpfes Rumpeln von sich, wenn die Zahnreihen in einander greifen. Die Wellen gurgeln ordentlich am Rumpf und oben in der Takelage heult der Wind. Dazu gibt es ständig irgend etwas, was bei der Schaukelei im Schiff klappert. Also müssen geräuschempfindliche Menschen wie wir schon einmal mit Ohrstöpseln schlafen.
Und dann die alles entscheidende Frage: Wie bleibe ich bei der Schaukelei an der Stelle im Bett liegen, wo ich mich hingelegt habe? Die Antwort gleich vorneweg: Es gibt keine Methode, die Krängung ist viel zu stark und man rutscht ständig hin und her. Dennoch versucht jeder von uns verschiedene Tricks. Mit dem Rücken ganz fest gegen das Leebrett drücken und sich mit einem Bein an der Wand abstützen. Oder sich links und rechts jeweils eine Decke als Keil unter den Körper schieben, um ein Wegrollen zu verhindern. Oder sich einfach auf den Rücken legen, ganz Zen sein und einfach mit dem Schiff mitrollen.
Und erstaunlicherweise gelingt es uns dann doch immer wieder, die Freiwache einigermassen durchzuschlafen. Der menschliche Körper hält schon eine Menge aus und gewöhnt sich auch an unglaublich viel!
Ein Etmal ist die in 24 Stunden zurückgelegte Strecke. Und ein Etmal ist für Segler ungefähr so wichtig, wie die PS-Zahl eines Autos, das Handicap eines Golfers, die Länge bestimmter Körperteile in cm, etc. In jeder Funkrunde, bei jedem Sundowner geht es dementsprechend auch immer wieder um die Frage, welche Etmale die einzelnen Schiffe schaffen. Und damit natürlich auch um die Frage nach der Qualität von Schiff, Crew und Skipper.
Wir bestimmen unser Etmal wie die meisten anderen auch um 12:00 UTC. Als Etmal verwenden wir die gemäß GPS in den letzten 24 Stunden zurückgelegten Seemeilen. Das ist zwar nicht ganz akkurat, denn eigentlich müßten wir die Entfernung zwischen den beiden Mittagsstandorten zugrunde legen. Da wir aber nahezu kerzengeradeaus segeln, macht es keinen großen Unterschied.
Das erreichbare Etmal auf einer Langfahrtyacht, die in der Regel nur von 2 Personen geführt und nicht am Limit gesegelt wird, hängt allerdings weniger von den Qualitäten der Crew etc., sondern vielmehr von der Länge der Yacht ab. "Länge läuft" heißt es kurz und größere Schiffe müssen daher eigentlich auch größere Etmale machen. Wir bekommen erst langsam ein Bild davon, welche Etmale wir mit LA GITANA erreichen können. Etmale von 150 bis 160sm in den letzten Tagen liessen uns schon vor Entzücken jauchzen. Da wir heute aber wahrscheinlich sogar die 180sm knacken werden, ohne an die Belastungsgrenze ranzugehen, werden wir die nächsten Tage dann sicher noch ein wenig ehrgeizig.
Es ist schon so ein Kreuz mit den Kreuzseen. Da brauchst du schon eine Menge Contenance, um das auszuhalten. Denn das ganze ist wie chinesische Wasserfolter. Es hört und hört einfach nicht auf und zieht Dir mit dieser gnadenlosen ruhigen, aber nicht vorhersagbaren Regelmäßigkeit den letzten Nerv.
Wie soll man das ganze beschreiben? Fangen wir mal mit dem "Normalzustand" an. LA GITANA liegt leicht auf dem Backbordbug auf Vorwindkurs. Die Windsee kommt von hinten angerollt und hebt erst langsam das Heck, dann das ganze Schiff, um anschließend das Heck und dann das ganze Schiff wieder sanft abzusetzen. Ergebnis ist eine leichte, angenehme Bewegung um die Schiffsquerachse. Herrlich! Bis die Kreuzsee kommt.
Denn nun läuft eine alte Dünung von irgendeinem Sch...Tiefdruck-Gebiet irgendwo im nördlichen Atlantik heran. Aus Nordrichtung, d.h. ungefähr im Winkel von 60° zur Windsee und genau rechtwinklig zu unserer Schiffslängsachse. Diese Dünung ist gar nicht hoch. Man sieht sie kaum. Die erste Welle tippt LA GITANA sanft an und läßt sie 10° nach Backbord krängen und dann, nachdem sie unter uns durchgelaufen ist, 10° nach Steuerbord. Dann kommt die nächste Welle. Da LA GITANA inzwischen ein wenig Schwung hat, legt uns die Welle 15 bis 20° nach Backbord, dann nach Steuerbord. Und dann kommt die dritte Welle. Sie steilt sich gemeinsam mit der Windsee richtig auf! LA GITANA kriegt eine volle Breitseite und legt sich 35° auf beide Seiten!! Alles was nicht niet- und nagelfest ist, einschließlich der Crew, schießt nun in einer ballistischen Flugbahn in hohem Bogen durchs Schiff. Dann ist kurz Ruhe, bevor es wieder von vorne losgeht.
Der Zyklus wiederholt sich so alle dreißig Sekunden. Also zweimal in der Minute! Einhundertzwanzig Mal in der Stunde!! 2.880 Mal am Tag!!! 20.160 Mal seit wir von den Kapverden gestartet sind!!!! AAARRRRGGGGG!!!!!!
Zwischendurch dachten wir ja schon, dass wir zu doof zum Segeln sind. Aber da Alfred von der Verena und auch die Crew der Morgi vom gleichen Schicksal berichten, liegt es wohl doch nicht nur an uns. Aber auch diese Prüfung werden wir irgendwie überleben.
Wir nähern uns definitiv tropischen Gefilden. An der Luftemperatur merkt man es vielleicht noch nicht unbedingt. Zwar ist es angenehm mild. Wenn wir allerdings der althergebrachten Navigationsanweisung folgen würden und nach Süden segelten, bis die Butter schmilzt, dann hätten wir wahrscheinlich immer noch keinen Westkurs.
Aber die Wassertemperatur macht deutlich, dass uns bald uneingeschränkter Badespaß in der Karibik bevor steht. Seit der Abfahrt von Gran Canaria beobachten wir täglich gespannt die Entwicklung der Wassertemperatur. 21° C waren es bei Abfahrt auf Gran Canaria. Ein paar Tage später klangen 22°C schon eher nach einem verlockenden Sprung ins Wasser und auf den Kapverden ist Volker dann tatsächlich bei 23°C regelmäßig schwimmen gegangen.
Seit wir westwärts halten, ist die Temperatur nun bereits auf 25°C geklettert und Seewasserspritzer sind definitiv deutlich wärmer als der Regen. Karibik, wir kommen!!
Wir sind schizophren. Wir leben nämlich in 2 Zeitzonen! Volker in UTC und Michaela in Bordzeit. Volker in UTC, da alle Funkverbindungen, Wetterberichte etc. über UTC, d.h. Greenwich-Zeit terminiert werden. Michaela in Bordzeit, da wir danach unsere Wachen und unsere Mahlzeiten ausrichten.
Der Zeit-Unterschied von den Kapverden zu den Antillen sind drei Stunden. Diese holen wir im Laufe der Atlantiküberquerung durch regelmäßige Anpassung der Bordzeit ein. Alle 15 Längengrade bedeuten nämlich theoretisch das Zentrum einer neuen Zeitzone, die sich jeweils 7,5° nach West und Ost um diesen Längengrad erstreckt. Jedes Mal, wenn wir also eine Zeitzonengrenzen übersegeln, stellen wir unsere Bordzeit eine Stunde zurück. Das war bisher bei 22,5°W und 37,5°W der Fall. Das nächste und letze Mal erfolgt die Umstellung auf 52,5°W. Dann ist unsere Bordzeit gleich Antillen-Zeit (MEZ -5 Stunden).
Unser Tagesablauf ist daher während der ganzen Überquerung mit Sonnenauf- und -untergang synchronisiert. Für uns ist jeden Morgen um 06:30 Sunrise und um 18:30 Sunset (Bordzeit, versteht sich, gell). Auf diese Weise schaffen wir es wahrscheinlich, ohne Jetlag in den Antillen anzukommen, da wir ja genügend Zeit haben, uns an die Zeitverschiebung zu gewöhnen. Dafür sind wir wahrscheinlich schlagkaputt vom nachts Wache gehen. Mit dem Segelboot über den Atlantik ist damit wahrscheinlich auch keine Alternative für gestresste Manager, die ohne Jetlag und ausgeruht für wichtige Besprechungen ankommen wollen.
Zum Umgang mit der Zeitverschiebung gibt es so viele unterschiedliche Ansichten, wie es Schiffe und Skipper gibt. Die einen fahren die ganze Strecke streng nach UTC durch. Die anderen stellen ihre Uhren alle bei Abfahrt bereits auf die Uhrzeit des Zieles um. Wir geniessen allerdings unsere Methode, da sie uns immer wieder Zwischenwegepunkte gibt. Bis 180° W werden wir so alle 15° eine Stunde geschenkt bekommen. Und dort an der Datumsgrenze wird uns dann als Ausgleich einfach gleich ein ganzer Tag geklaut werden. Sauerei, oder? Aber bis dahin sind's ja noch ein paar Meilen.
Du räkelst dich wohlig auf dem Sonnendeck, spürst die sanften Schiffsbewegungen, lauscht dem Rauschen des Kielwassers, läßt den Blick über den scheinbaren unendlichen Horizont schweifen. Nachts funkeln dich die Sterne an und das Plankton bildet eine leuchtende Spur hinter uns. It's simply magic!
Segeln, denkt man gemeinhin, ist doch das lautlose Gleiten übers Wasser mit Hilfe des Windes. Denkste! Lautlos ist hier gar nichts. Die Wellen gurgeln, glucksen, rauschen und schlagen immer wieder mit furchtbarem Getöse gegen den Rumpf. Der Wind heult in den Wanten, in der Reling und wo sonst noch.
Das Schlimmste sind aber die Geräusche, die LA GITANA entwickelt. Es sind nicht viele. Aber jeden Tag andere. Und wie ein Hypochonder jede kleinste Regung seines Körpers sofort mit einer Krankheit in Verbindung bringt, so assoziiert Volker jedes neue Geräusch mit einem technischen Problem von LA GITANA. Schiffshypochonder eben.
Da! Da war es doch gerade wieder. Dieses Knacken! Immer wenn wir uns bei ca. 20 kn Wind nach Backbord überlegen. Wo kommt das denn her? Knack! Da! Michaela, hörst du das auch? Nein?! Anscheinend kommt es vom vorderen Durchgang. Mal hingehen und das Ohr an das Schott legen, ob etwas im Mast die Ursache ist, der ja genau auf diesem Schott steht. Und schon klebt Volkers Ohr am Schott. Und was hört er? Natürlich nichts. Hhmm, kann dann ja wohl nicht so schlimm sein. Aber kaum sitzt er wieder auf der Sitzbank - knack! Wieder aufgesprungen, Ursprung des Geräusches suchen, wieder nichts gefunden. Denn jedesmal, wenn man meint, man habe den Ursprung eingegrenzt, verschwindet das Geräusch. Wie bei einem echten Hypochonder eben. Oder gibt es Hypochonder, die tatsächlich schon an einer eingebildeten Krankheit gestorben sind?
Volker ist mit der täglichen Geräusch-Schatzsuche jedenfalls gut beschäftigt. Denn LA GITANA überlegt sich jeden Tag neue Geräusche, die sie von sich gibt. Für einen Sound-Designer vom Film, wäre das hier das wahre Paradies! Bisher hat sich keines der Geräusche mit irgendeinem technischen Problem in Verbindung bringen lassen und verschwindet in der Regel spätestens nach 2 Tagen wieder. Damit könnten wir ja entspannt und mit Großmut über die Geräuschkulisse hinweg sehen. Allein Volker kann sich hier nicht der Entspannung hingeben.
Knirsch! Da! Da war doch schon wieder ein Geräusch. Und schont geht die Suche wieder von vorne los...
Mit 650sm to go und Etmalen von 160sm und mehr können wir heute schon langsam anfangen, unseren Landfall zu planen. Da ist zunächst der Tag. Je nachdem, wie sich die nächsten Tage windmäßig so entwickeln, werden wir entweder am 26.01. nachmittags/abends oder spätestens am 27.01. nachts/ frühmorgens auf St. Martin ankommen.
Damit stellt sich gleich die zweite Frage: Wie können wir verhindern, nachts einen Landfall zu machen. Sicher, wir haben Radar und gute Seekarten. Aber in der mit Riffen gespickten Karibik ist das trotzdem keine so tolle Idee, nach zwei Wochen auf See nachts anzukommen. Wir rechnen und rechnen und stellen folgendes fest: Wenn wir auch die nächsten Tage jeweils Etmale von 160sm oder mehr schaffen, dann kommen wir gerade so noch vor Sonnenuntergang an. Ansonsten müßten wir irgendwann tierisch auf die Bremse treten, um erst am 27.01. nach Tagesanbruch einzulaufen. Die Wahl fällt uns leicht. Wir geben Vollgas. Wäre doch gelacht, wenn wir die nächsten vier Tage nicht auch noch einmal die bisherigen Etmale schaffen würden.
Womit wir zur dritten Frage kommen: Wo müssen wir eigentlich genau hin und wie kommen wir mit den Windprognosen am besten dorthin. Bisher sind wir mehr oder weniger in purer Abhängigkeit vom Wind zwischen 17. und 18. Breitengrad über den Atlantik gesegelt. Kam der Wind mehr aus Nordost, waren wir mehr am 17., kam der Wind mehr aus Ost mehr am 18. Breitengrad unterwegs. Nun müssen wir aber 18°05'N genau treffen und das heißt aus unserer derzeitigen Position heraus eigentlich anluven. Das würden wir dann aber doch gerne vermeiden und lieber weiter unter Passatbesegelung bleiben. Wir konsultieren unsere Wetterdaten, holen bei Willi extra nochmal einen längerfristigen Wetterbericht ein. Grübel, grübel. Und siehe da: Das Wetter scheint uns hold zu sein. Ab 25.01. soll der Wind auf Ost drehen. Unter Passatbesegelung könnten wir unter diesen Bedingungen dann gerade noch ausreichend Nord machen, um St. Martin zu erreichen. Wir bleiben also zunächst einmal auf unserem Kurs, und lassen LA GITANA dann einfach langsam mit dem Wind mitdrehen. Wenn wir Glück haben, brauchen wir also bis St. Martin die Segelstellung überhaupt nicht mehr zu verändern.
Nach allem, was wir so an Erfahrungsberichten von Atlantiküberquerungen gelesen hatten, sind Squalls die unangenehmste Wettererscheinung auf der Passatroute. Squalls sind so etwas ähnliches wie Gewitter, nur ohne Blitz und Donner. Dafür mit jeder Menge Wind und Regen. Squalls ziehen am liebsten in der Dunkelheit der Nacht herauf. Sobald sich achteraus keine Sterne mehr blicken lassen, ist klar: Jetzt geht's bald wieder los. Und dann kommt von einer Sekunde zur nächsten Starkwind mit 7 bis 8 Beaufort herangefegt. Dicht gefolgt von einem Platzregen. Das ganze dauert dann circa eine Viertel Stunde. Danach funkeln die Sterne wieder völlig unschuldig vom Himmel. Wind? Viel Wind sogar? Nein, wir haben nichts gesehen.
Als Segler heißt es daher, immer gut den Himmel beobachten. Manche fahren aufgrund der Squalls sogar die ganze Zeit unter Radar, denn auf dem Radar sind diese lokal eng begrenzten Wettererscheinungen gut zu erkennen. Und wen nein Squall aufzieht, gilt es schleunigst zu reffen. Vor allem dann, wenn man unter den normalen Passatwinden von um die 15kn unterwegs ist. Denn dann ist ein Anstieg des Windes auf teilweise mehr als das doppelte von der gesetzten Segelfläche kaum zu bewältigen.
Wir haben allerdings festgestellt, dass Squalls auch Gerechtigkeit walten lassen. Denn sie bringen zum Glück keine relative Erhöhung der üblichen Windgeschwindigkeit, sondern sie liefern ihre 30-35, in Spitzen auch mal 40kn unabhängig davon ab, wieviel Wind gerade vorher war. So sind die Squalls weniger schlimm für so arme Segler wie uns, die sich bereits tagelang durch einen verstärkten Passat haben kämpfen müssen. Da wir ohnehin ständig zwischen 25 und 30kn Wind hatten, fiel uns die Auffrischung auf 35kn manchmal kaum auf. Dennoch refften wir jedesmal sicherheitshalber ein wenig des Passatsegels weg. Zum Glück geht das auf LA GITANA ohne großen Aufwand und kann von einer Person erledigt werden. Einfach die beiden Schoten ein wenig fieren, das Segel etwas einrollen. Fertig.
Heute Nacht durften wir dann aber doch nochmal miterleben, wie unangenehm ein Squall unter normalen Passatbedingungen sein kann. Wir zogen gerade unter fast vollständig ausgerolltem Passatsegel - immerhin 100qm - bei 17-22 kn Wind dahin, als uns ein besonders starker Squall mit 38kn von hinten überfiel. Da heißt es dann schon schnell reagieren, bevor es Bruch gibt oder das Schiff aus dem Ruder läuft.
Wir werden, wie soll ich's ausdrücken, langsam ein wenig seltsam, glaube ich. Die Isolation auf dem Atlantik scheint so langsam unser Gehirn ein wenig aufzuweichen. Oder hört ihr zuhause etwa auch immer wieder Stimmen, obwohl ganz klar ist, dass hier niemand ist und auch nicht sein kann. Ja! Dann sind wir aber beruhigt.
Wir hören nämlich regelmäßig irgend jemanden leise sprechen oder ein Baby leise weinen. Leider verstehen wir nie, was die Leute alles sagen. Und wenn wir uns auf die Suche nach der Herkunft der Stimmen machen, finden wir auch nichts. Aber das beste ist: Michaela hat inzwischen einen eingebauten iPod und hört nachts vor dem Einschlafen Jazz-Musik!! Hier ist aber definitiv keine Musik!!!
So müssen die Geschichten vom Klabautermann entstanden sein. Denn was unser von allen äußeren Reizen befreiter Geist uns als Stimmen oder Jazz-Musik vorgaukelt ist natürlich nichts anderes als das Geräusch des Windes in unserem Rigg. Aber anscheinend hat das Gehirn nach so langer Zeit auf See das Bedürfnis, mal wieder alte Muster zu erkennen und versucht dementsprechend chaotische Geräusche in Wörter und Satzfetzen umzudeuten. Dann hören wir mal weiter zu, vielleicht lernen wir ja noch was neues...
Um unseren Cholesterin-Haushalt ausgeglichen zu halten, sind wir aus Puerto de Mogan mit 64 frischen Eiern aufgebrochen. Unter Seglern kursieren dabei unzählige Methoden, wie man Eier nun über längere Zeit (d.h. drei Monate und mehr) frisch und geniessbar hält. Das Spektrum reicht dabei von mit Vaseline eincremen bis zu leicht ankochen.
Einer der Tips ist dabei, die Eier alle paar Tage zu wenden. Wahrscheinlich um zu verhindern, dass der Dotter sich schwerkraftbedingt auf einer Seite der Schale festsetzt. Egal wie, schaden kann's ja nichts. Also wenden wir alle paar Tage unsere Eier.