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Dienstag 30. November 2010
Unser Standort: Vor Anker beim Motu Tjan, Maloelap Atoll, Marshall Inseln
In einer Gegend, die so sehr durch eine Überfülle an Meer und einen Mangel an Land charakterisiert ist wie die Marshall Inseln, ist es für uns extrem erstaunlich, dass man keine Boote sieht. Die Menschen kleben an ihrem Land, begeben sich zum Fischen nur schnorchelnderweise mit einer Harpune ins nah gelegene Wasser, paddeln höchstens mal in auseinanderfallenden Alubooten oder alten Segeldingies herum.
Das war natürlich nicht immer so. Die Marshallesen waren wie alle Ozeanier begnadete Seefahrer, die mit ihren bis zu 30m langen Auslegerkanus und Katamaren nicht nur auf den Lagunen der Atolle, sondern auch zwischen Atollen und auf großen Seestrecken zwischen den Archipelen segelten. Legendär sind die Fähigkeiten der Marshallesen anhand von Strom- und Wellenmustern zu navigieren. Erfahrene Navigatoren konnten ein Kanu von einem Atoll zum nächsten bringen, indem sie mit geschlossenen Augen auf dem Boden des Kanus lagen und die verschiedenen Wellenmuster spürten.
Noch heute zeigen die sogenannten "Stick Charts", die Stabkarten von dieser Kunst. Man findet sie zu Dutzenden in den Kunsthandwerksläden in Majuro. Viele Marshallesen können sie heute noch herstellen, aber es gibt fast niemanden mehr, der sie lesen oder interpretieren kann. Die Stabkarten dienten der Unterrichtung junger Navigatoren und stellten die zwischen den Inseln anzutreffenden typischen Strömungs- und Wellenmuster dar. Mitgenommen auf See wurden sie nie, sie dienten nur der Ausbildung. Außerdem hätte man für Hin- und Rückfahrt verschiedene Stabkarten mitnehmen müssen, da sie "unidirektional" waren. Das heißt, sie zeigten nur die Veränderung der Wellenmuster, wenn man von Atoll A zu Atoll B segelte. Für den Rückweg galten diese Muster nicht mehr, man benötigte andere Stabkarten.
Wie kann es also sein, dass eine seefahrende Kultur, in der noch bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts jede Familie über mindestens ein großes Segelkanu verfügte, zu kompletten Landbewohnern wird? Dass es wie hier in Maloelap praktisch keine Boote mehr gibt? Ursächlich für diesen Niedergang der traditionellen Fortbewegung ist bzw. war die Einstellung und Wahrnehmung der Marshallesen, dass alles was "westlich" oder japanisch oder amerikanisch ist, überlegen ist. Ethnologen sind überzeugt, dass die Marshallesen aus dieser Überzeugung heraus ableiteten, ihre eigenen Errungenschaften, ihre eigenen Techniken, ihre eigenen Künste, seien unterlegen, unmodern, unnütz. Sie gaben sie daher schließlich auf. Man baute einfach keine Segelkanus mehr, weil man glaubte, dass sie einem Motorboot mit Aussenborder unterlegen waren.
Es mag ja nun auch durchaus sein, dass ein Motorboot in vielen Belangen einem Segelkanu überlegen ist. In Tuvalu führte dies beispielsweise dazu, dass die Segelkanus verschwanden und durch Motorboote ersetzt wurden. Ein Kulturverlust zwar, aber immerhin können sich die Menschen noch auf dem Meer und in ihrer Lagune bewegen. Doch hier in den Marshall Inseln gab es diesen Ersatz nicht! Die Segelkanus verschwanden einfach, für Motorboote und Aussenborder fehlt das Geld, es gibt keine Mechaniker, keine Benzinversorgung, nichts. Aus Seefahrern wurden ans Land gefesselte Sammler und von Reis- und Mehlimporten abhängige Konsumenten, die ihrer eigenen Kultur nicht vertrauten. Heute gibt es in Maloelap noch vielleicht 10 funktionstüchtige Motorboote auf den vier bewohnten Inseln. Sie dienen eigentlich nur dazu, Menschen und Waren von einer Insel zur nächsten zu bringen.
Anstatt dass wie früher Dutzende von Segelkanus durch die ruhigen Wasser der Lagune segeln, um Kopra von A nach B zu bringen oder um zu fischen, ist die grosse Wasserfläche heute verwaist. Die Menschen können sich ihren Fisch nur noch in unmittelbarer Landnähe besorgen, was dazu führt, dass die Bestände in unmittelbarer Nähe der bewohnten Inseln überfischt sind. Die Strände, wo früher die Kanus in langen Reihen lagen, sind leer. Und alles nur, weil die Marshallesen ihre eigenen Errungschaften für minderwertig hielten, auch wenn sie in der Praxis hervorragend funktionierten. Ironie der Geschichte, dass sich heutzutage ausgerechnet die zwei- und mehrrümpfigen Designs der ozeanischen Segelfahrzeuge als extrem zukunftsweisend herausstellen...
Bild des Tages:
Marshall Inseln absurd: Kaiki und Aston paddeln in einem echten Segeldingi durch die Gegend. Wir konnten nicht herausfinden, wie sie an diese kleine Jolle herankamen, eigentlich kann sie nur von einer Yacht kommen. Doch anstatt die kleine Jolle zu segeln, wird nur gepaddelt. Dass auf dieses Wasserfahrzeug eigentlich ein Mast mit Segel gehört, davon wissen die beiden Jugendlichen nichts. Und noch viel weniger wissen sie von traditionellen Segelkanus. Sie haben in ihrem Leben noch keines gesehen.