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Samstag 14. Januar 2006

Das Märchen vom Passatsegeln

Unser Standort: 260sm westlich der Kapverden - Tag 3 auf See/ noch 1.920sm bis St. Martin

Auf der Homepage auch die beiden Links mit Positionsreportern beachten

 

Es war einmal vor langer, langer Zeit. Da war die Erde noch unverdorben, viele Flecken noch nicht entdeckt und kaum von Fremden besucht. Die Natur war noch im Gleichgewicht und das Wetter war so, wie es sein sollte und eigentlich schon immer war. Zu dieser Zeit segelten Menschen um die Welt, die wahre Seeleute und Helden waren, denen schlechtes Wetter nichts anhaben konnte. Sie trugen so schillernde Namen wie Erdmann, Schenk, Pieske, Koch und Hauser. Und sie schrieben Bücher über ihre Erlebnisse. Wunderschöne, verführerische Bücher. Und sie berichteten vom Passatsegeln. Dem sanften Dahingleiten bei gleichmäßig angenehmem Wind, in der Wärme der Tropen, unter dem samtenen Sternenzelt. Vom Seele baumeln lassen, vom sich selbst finden beim Passatsegeln. Diese Bücher wurden von armen Landratten wie uns verschlungen. Sie inspirierten uns, es diesen Helden gleich zu tun. Und sie liessen uns von paradiesischen Segelbedingungen auf der Passatroute träumen. Doch leider währte dieser Traum nur so lange, bis wir tatsächlich auf der Passatroute waren und es kein Zurück mehr gab. Denn dann waren wir dem Passat ausgeliefert, von ihm umgegeben, von ihm gefangen. Und wenn wir nicht gestorben sind, dann segeln wir noch heute in diesen Scheißbedingungen da draussen und die Helden von früher verbreiten weiterhin das Märchen vom Passatsegeln.

 

Von allem, was man sich vom Passatsegeln erhofft und erwartet, haben wir bisher noch nicht so richtig viel mitbekommen. Und das geht dieses Jahr nicht nur uns so, sondern auch den anderen Schiffen vor und hinter uns auf der Route. Dies erfahren wir über Funk von der Magic Life, der Verena, der Morgi, der Anastasia, der Nuku'alofa und der Nautica. Daher ist es an der Zeit, mal mit ein paar Verklärungen des Passatsegelns aufzuräumen:

 

Märchen Nr. 1: Der Passat ist konstant und nicht zu stark. Überall steht geschrieben, dass der Passat gleichmäßig mit 4-6 Beaufort aus Nordost bläst und nie mehr als 6 Beaufort erreicht. Nun ja, das mit der Richtung scheint noch einigermassen zu stimmen. Aber von wegen nie mehr als 6 Beaufort. Wir haben seit vorgestern regelmäßig bis zu 35kn Wind und auch auf der Fahrt zu den Kapverden gab es viele Stunden, wo wir deutlich mehr als 30kn hatten. Und von wegen gleichmäßig: Heute nacht geht es rauf und runter. Mal 11kn und zwei Minuten später wieder 35kn. Ohne erkennbaren Grund. Dann wieder nahezu Flaute, die uns in der mächtigen Dünung und Windsee brutal rollen läßt. Womit wir schon bei Märchen Nr. 2 sind.

 

Märchen Nr. 2: Das sanfte Dahingleiten unter Passatsegeln. Die Passatsegel haben wir droben! Das einzige was derzeit fehlt, ist das sanfte Dahingleiten!! Auf der ganzen Strecke bis in die Karibik beschweren sich derzeit die Segler über die chaotische und hohe See. Wir haben quasi permanent mit einer fiesen Kreuzsee zu kämpfen, die uns gnadenlos von links nach rechts wirft. Und auch die Windsee ist bei den herrschenden Windstärken nicht zu verachten. Willi, unser Wetterfrosch per Funk, meint zwar immer, seine Wellenkarten behaupten, wir hätten nur 3 Meter Welle. Aber er kann ja gerne mal vorbeischauen und nachmessen. Wir würden eher behaupten, dass wir 5 Meter hohe Wellen haben. Zumindest heute Nacht.

 

Märchen Nr. 3: Der tropische Sternenhimmel. Das könnt ihr total streichen. Pünktlich zum Sonnenuntergang zieht sich der Himmel nämlich immer komplett zu. Aus den kleinen Cumulus-Wolken wird innerhalb von wenigen Minuten eine dichte Schichtbewölkung, durch die man noch nicht einmal den Vollmond sieht. Ach wie gerne würden wir nachts mal zu zweit lauschig draussen im Cockpit sitzen und in die Sterne gucken.

 

Ja, ja ich weiß. Euer Mitleid hält sich in Grenzen. Und damit das auch so bleibt, gestehe ich gerne, dass es auch die schönen Momente gibt. So wie heute den ganzen Tag über. Die Sonne scheint angenehm warm, die Welle ist nicht zu hoch, der Wind mit 20-25kn noch im vertretbaren Rahmen und wir haben Zeit und Muße uns im Cockpit zu aalen, zu quatschen und zu lesen. Aber es wäre doch wohl nicht zu viel verlangt, wenn das 24 Stunden am Tag so wäre, oder?

 

+++ RUBRIK: Was macht man so auf dem Atlantik? +++

+++ HEUTE: Funken

 

Funk ist das Telefon der Segler auf der Passatroute. Und selbst Leute, die in ihrem richtigen Leben überhaupt nicht gerne telefoniert haben, sitzen immer schon 1 Minute vor der vereinbarten Zeit am Funkgerät und fiebern den Neuigkeiten entgegen. Wir haben derzeit drei Funkrunden: Zweimal am Tag mit der Morgi, die ja mit uns aus Gran Canaria ausgelaufen ist. Einmal mit Jörg, Alfred, Michael & Co. Und unsere Wetterrunde. Und obwohl die Themen immer die gleichen sind, ist es trotzdem immer spannend: Auf welcher Position seid ihr gerade? Wieviel Fahrt macht ihr? Welches Etmal (apropos: Wir hatten heute ein fantastisches Etmal von 160sm!)? Wie ist das Wetter, die Welle? Aha - paßt auf, wir holen Euch bald ein! Fisch gefangen? Wer ist wieder seekrank? Etc. etc.

 

So wird alles ausgetauscht, was so an Klatsch auf den in der Regel mit einem Pärchen besetzten Booten anfällt. Fast so nett, wie ein kurzes Schwätzchen mit dem Nachbarn im Flur. Das ganze hat aber auch noch den beruhigenden Nebenaspekt, dass man sich nicht so mutterseelenalleine mitten auf dem Atlantik fühlt. Es gibt noch andere Idioten, die sich das auch antun, die teilweise gar nicht so weit weg sind. Und dass es allen keinen Deut besser geht als uns, macht für uns die Situation deutlich erträglicher.

 

+++ RUBRIK ENDE +++

 

Bilder des Tages:

- Pünktlich zum Sonnenuntergang zieht sich der Himmel zu

- Einer der wenigen Momente, in denen der Vollmond wolkenfrei am Himmel steht