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Sonntag 23. März 2014

Mit dem Kanu auf der hohen See – Teil 2

Unser Standort: Vor Anker in der Lagune des Puluwat Atolls, Chuuk State, Mikronesien

 

Wir sind am Ende der Uranie Bank angekommen. Keine Ahnung woher Iber und David das wissen, aber sie sind sich sicher. 19 Seemeilen weit sind wir draußen auf der offenen See. Weder vom anderen Kanu noch von Puluwat ist auch nur der Hauch einer Spur zu sehen. Allein auf hoher See in einer Nußschale, orientierungslos obendrein. Denkt man. Doch die Navigatoren wissen genau, was sie tun. Wir kreuzen das Ende der Uranie Bank nach Ostnordost entlang, um zu fischen. Es muss Ostnordost sein, denn der Wind kam ungefähr aus Nordost, denke ich mir. Nach dem zweiten oder dritten Wendemanöver fällt mir allerdings die Orientierung schwer, in welche Himmelsrichtung wir gerade segeln. Zusätzlich verwirrend ist, dass bei jedem Wendemanöver das Heck zum Bug und der Bug zum Heck wird.

 

Doch gerade gibt es keine Zeit darüber nachzudenken, wohin wir segeln. Die Blase drückt. Und zwar gewaltig. Wie nicht anders zu erwarten geht das Gefeixe in der Crew los, als ich nach Rat frage, wo und wie man am besten austrete. Ich werde ans Ende der Leeplattform geschickt, die Beine baumeln ins Meer und in meinem Rücken spüre ich 8 neugierige Augenpaare. Keine guten Voraussetzungen, allzumal die komplette Bauch- und Beckenmuskulatur vom Sitzen im Schneidersitz und den Ausgleichbewegungen des Oberkörpers verspannt ist. Wenig hilfreich ist auch die Sitzposition auf der ansteigenden Plattform: als beuge man den Oberkörper im Sitzen stark nach vorne. Kurz gesagt, die Umstände sind widrig und nichts geht.

 

Natürlich wissen die Jungs Rat. Ich bin schließlich nicht der erste Palangi, der mit ihnen segelt und dasselbe Problem hat. Scheint wohl bei allen vorzukommen. Mir werden namentlich einige genannt, die zu sehr kreativen Lösungen greifen mussten, um die Blase zu leeren. Dementsprechend beinhalten die teils wohlgemeinten, teils gemeinen Ratschläge, mich einfach flach auf den Bauch zu legen und den Schniedel durch das Bambusgeflecht nach unten zu hängen. Oder meine Trinkflasche leer zu trinken und sie zu benutzen. Schließlich einigen wir uns darauf, dass ich es einfach so mache, wie die anderen der Crew, die nach meinem vergeblichen Anlauf begonnen haben auszutreten. Wusste ich doch, dass alle nur auf mich warten. Und so halb im Stehen halb im Hocken im Rumpf des Kanus geht’s dann auch. Als ich wieder auf die Leeplattform zurückkrabbele, klopfen mir alle anerkennend auf die Schulter. Scheint, da gab’s schon größere Dramen.

 

Zwischen den ganzen Wendemanövern, bei denen jedesmal die Angeln eingeholt werden müssen, gibt es dann auch noch Mittagessen. Ein paar Bonitos waren an die Angel gegangen und die gibt es nun „local style“. Mit einer großen Machete werden die Thune halbiert und ausgenommen. Dann bekommt jeder ein großes Stück davon und knabbert das rohe Fleisch mit Haut und allem von den Gräten. Ist das lecker, wenn einem der Magen so richtig in den Kniekehlen hängt. So wenden wir hin und her. Auf dem Ausleger und der Leeplattform liegen die Thunfischstücke, wir legen uns mitten rein, wenn der Baum auf die andere Seite manövriert wird und verheddern uns dabei in den Angelleinen. Sehr archaisch das Ganze. Und sehr unterhaltsam, meine Seekrankheit ist wie weggeblasen.

 

Schließlich entscheidet Iber, dass es zurück nach Puluwat geht. Das Fischen war zufriedenstellend aber definitiv nicht besonders gut. Knapp vierzig Bonitos, Rainbow Runner und Makrelen liegen im Rumpf und Roland rechnet mir vor, dass ich davon mehr als 10 Stück an Bord gezogen habe. Daumen hoch!

 

Inzwischen habe ich wieder eine grobe Vorstellung, in welcher Richtung Puluwat liegen müsste, sofern der Wind nicht stark gedreht hat. Hin finden würde aber sicher kaum ein Europäer. David und Iber dagegen wissen genau, wo sie hin müssen und verwenden dazu wieder ihre „Strassenkarte“: das Riff, das außen um die Uranie Bank herumläuft. Das Kanu wird jetzt hoch am Wind gesegelt, die Squalls haben deutlich zugenommen und der Wind massiv zugelegt. Es ist ein richtiges Mistwetter mit Regen und allem. Es dürften in Spitzen um die 25 Knoten sein, die den Regen horizontal auf uns zupeitschen, so dass wir kaum die Augen öffnen können. Alle sind wir durchgeweicht vom Regen und schlottern um die Wette.

 

Dabei würde das Kanu in den Wellen eigentlich völlig trocken segeln. Kaum ein Spritzer Meerwasser verirrt sich bis auf den Ausleger oder die Leeplattform. Und selbst am Wind und bei den zwei Meter hohen Wellen, die auf uns zurollen, läuft kaum Wasser in den völlig offenen Rumpf. Nur alle fünf Minuten muss ein Crew-Mitglied ungefähr 5 Liter Wasser aus dem Rumpf schöpfen. Würden wir denselben Kurs mit LA GITANA segeln, kämen am Bug die Wellen nur so über. Absolut faszinierend, wie genial diese Kanus konstruiert sind.

 

Der Himmel ist schwarz und es beginnt schon langsam der sehr späte Nachmittag. Seit bestimmt drei Stunden sind wir auf dem Rückweg Richtung Puluwat und die Insel ist immer noch nicht in Sicht. Vielmehr tobt sich in Richtung Puluwat schon eine ganze lange Weile ein heftiger Squall aus und die Sicht ist runter auf höchstens die Seemeilen. Keine ganz idealen Voraussetzungen, um das kleine Atoll wiederzufinden. Dann reißt uns plötzlich eine ganze Welle von Bissen an den Angeln aus der frierenden Lethargie. Die Stimmung steigt massiv an, das Einholen der Angeln wärmt ein wenig auf und der Anblick der zappelnden Fische im Rumpf macht zufrieden. Jetzt wird alles gut, wir haben nicht super viel, aber ausreichend Fisch und die Insel kann nicht mehr weit sein.

 

Und tatsächlich taucht dann Puluwat aus der Regenwand auf. Nicht einmal zwei Seemeilen entfernt liegt das Atoll, so schlecht war die Sicht. Und dennoch haben die Navigatoren das Kanu punktgenau Richtung der Passage gesteuert. Unfassbar für einen Segler, der nur mit Instrumenten seinen Kurs findet.

 

Die Sonne ist bereits untergegangen, als wir schließlich mit Unterstützung der Paddel in den Pass hineinsegeln und lautlos Richtung LA GITANA gleiten. Michaela, die sich inzwischen Sorgen gemacht hat, weil wir 10 Stunden weg waren, steht erleichtert an Deck und winkt uns zu. Iber bietet mir an, hier auszusteigen, doch nun möchte ich die Ausfahrt auch zu Ende bringen. Langsam paddeln wir das Kanu im Windschatten von Puluwat durch die Lagune bis zum Kanuhaus. Dort wartet schon die Crew des anderen Kanus, um uns zu helfen, das Kanu an Land zu schieben.

 

Inzwischen ist es stockfinster geworden und die Anlandung des Kanus wird die befürchtete Tortur. Nicht nur geht es bergauf, das Kanu ist mit all den Fischen und dem Wasser, welches der Rumpf aufgesogen hat, deutlich schwerer als am Morgen. Nicht hilfreich ist auch der morastige Boden, in dem man knietief versinkt. So stemmen sich knapp 20 Mann gegen das Kanu, um es in seine „Parkposition“ zu wuchten. Als Belohnung für alle wartet ein großer Pott stark gesüßter Tee darauf, uns zu wärmen. Es ist das erste Mal, dass ich mich in den Tropen nach einer heißen Badewanne sehne, so sehr bin ich durchgefroren.

 

Iber verteilt nun noch den Fang und will mir einen viel zu großen Anteil mitgeben. Ich schaffe es, ihn auf einen Rainbow Runner und einen kleinen Bonito „runterzuhandeln“, dann bin ich entlassen. Vierzehneinhalb Stunden sind vergangen, seit ich heute Morgen LA GITANA verlassen habe. Vierzehneinhalb Stunden, die ein absolutes Highlight der Weltumsegelung waren. Danke Iber, danke Jungs, dass ihr mich mitgenommen habt!

 

Bild des Tages:

Windig, nass und kalt – kein Wunder dass die Navigatoren von Puluwat der Meinung sind, auf einer Yacht reise es sich komfortabel. So richtig findet man kein Argument dagegen, wenn man gerade auf einem Kanu sitzt. Und egal wie kalt oder nass: die Schot wird immer aus der Hand gefahren.